LAURA SHANNON

FOLK DANCE - CIRCLE DANCE- SACRED DANCE - WOMEN'S RITUAL DANCE

(2011), Heilung und Heimkommen: Romatänze als Weg zur Freude

[NB: This article introduces my 2011 booklet of dance descriptions to accompany the Xenos CD Tutti Frutti, a compilation of 40 traditional Roma dances; both CD and booklet can be ordered from this website.] 

Ich hoffe, dass diese Tanzsammlung es Tänzern ermöglichen wird, über die Schritte hinauszusehen und sich mit der Quelle von Energie und Freude zu verbinden, die in Musik und Tanz des Balkans und der Roma enthalten ist.

Ich glaube, dass diese Tänze Teil des kollektiven Erbes der Menschenfamilie sind, und dass besonders die einfachen, älteren von ihnen – wie die hier vorgestellten – verborgene Weisheit enthalten, die in unserer heutigen Welt dringend gebraucht wird. Unser Zugang zu dieser Weisheit ist einfach eine tiefe innere Aufmerksamkeit für unsere Erfahrung der Tänze und unseren eigenen inneren Prozess während wir tanzen. Wie es schon in meinem Artikel “Einfache Tänze: Dreitakt-Tänze und der Lebensbaum” (1996) heisst: 

“Jedes Detail in Stil, Schritt, Bewegung und Musik entlockt den Tänzern eine neue und einzigartige Erfahrung, und vermittelt eine andere Botschaft davon im Körper zu sein, auf der Erde, in Gemeinschaft und mit dem Göttlichen. Für mich ist die besondere Charakteristik eines jeden Tanzes wie ein geheimer Code, der essentielle Wahrheiten enthält. Diesen Code zu entschlüsseln ist eine langsame Übung, und die dafür nötige Gewohnheit des inneren Hinhörens kann nur durch bewusste Wiederholung entwickelt werden: tanzen und tanzen und tanzen. Dafür sind alle diese Tänze gemacht.

Wir sind alle dem Hunger begegnet, immer neue Tänze zu lernen, weiterzugehen, nicht zu wiederholen. Aber wir können nicht aufnehmen, was ein traditioneller Tanz enthält, wenn wir ihn ein- oder zweimal tanzen, oder sogar zehnmal. In den Dörfern des Balkan, aus denen diese Tänze kommen, tanzen Menschen in ihrem ganzen Leben vielleicht ein halbes Dutzend Tänze, und meistens in ihrer einfachsten Form. Wenn ich unterrichte, ermutige ich also Wiederholung mit Aufmerksamkeit, damit wir tiefer gehen können. Manche sagen vielleicht, dass sie sich bei der Wiederholung eines Tanzes langweilen, den sie “schon kennen”, aber es zahlt sich wirklich aus, sich aus dem Griff der Ambition zu befreien und einfach bei dem präsent zu sein, was wir gerade tun. In dieser Übung sind Schätze verborgen. Die Absicht dabei ist, dass jede Tänzerin ihre eigene Beziehung zu dem Tanz entwickeln kann: auf diese Weise kann die Botschaft darin direkt vom Tanz and den Tänzer weitergegeben werden.”    

Einer der Schätze, die ich durch das Tanzen dieser Romatänze, getreu und mit geduldiger Aufmerksamkeit, erhalten habe, war die Einsicht in die Verbindung der Dreitakt-Tanzmuster zu dem uralten Symbol des Lebensbaumes. Das war im Jahr 1991, und alle meine Forschung und Tanzerfahrung seitdem hat meinen Glauben in diese Verbindung bestätigt. Die meisten Kreistänze der Roma auf dem Balkan (aus Mazedonien, Kosovo, Albanien, Südserbien und Nordgriechenland) sind Variationen der einfachen Dreitakt-Sequenz (Schritt, Schritt, Schritt, Lift, Schritt, Lift), bei weitem die beliebteste Tanzform in Osteuropa und dem Nahen Osten, und wo immer Kreistänze noch lebendig sind. Wie diese Tanzbeschreibungen zeigen hat sie viele Namen und Formen und wird vor allem bei rituellen Anlässen angetroffen. Ich nenne diese Dreitakt-Tänze “Lebensbaum-Tänze”. In meiner ursprünglichen Interpretation beziehen sich die drei Takte des Tanzmusters auf die drei Elemente des Lebensbaumes: die zwei Schritte vorwärts gleichen dem Stamm des Baumes, der nach oben wächst, und die zwei Schritte, die sich nach beiden Seiten spiegeln, gleichen den zwei symmetrischen Ästen des Baumes.*

Das Lebensbaummotiv tritt auf in der Volkskunst, in Stickerei, Schmuck, Holzschnitzerei, rituellen Esswaren und Ostereiern, gleichzeitig bietet die Archeologie viele Beispiele dieser Darstellung auf alten Figuren der Göttin und anderen Artefakten aus dem Gebiet des Alten Europa und dem Nahen Osten, bis hin nach Indien, dem Ursprungsland der Roma. Als die Roma im 11. Jhdt begannen, nach Europa einzuwandern, brachten sie das Wort trushul mit (wörtlich drei Zinken); ursprünglich beschrieb trushul den Dreizack des Gottes Shiva, und wurde zu der Bedeutung “Kreuz”, als die Roma dem Christentum begegneten. Sowohl Shivas Dreizack als auch das Kreuz teilen die Grundform des Lebensbaummotivs, und beide symbolisieren die Kräfte der Schöpfung und Zerstörung, Transformation und Wiedergeburt. Dies sind auch die Kräfte der uralten Göttin, die über Jahrtausende in den frühesten einheimischen europäischen Zivilisationen verehrt wurde, in dem selben geographischen Gebiet, in dem die Dreitakt-Tänze am häufigsten anzutreffen sind.

Über Jahrtausende war die Göttin die göttliche Darstellung heiliger Lebenskraft, Schöpfungsenergie und Fruchtbarkeit. Wenn die Frauen im Balkan (ob Roma oder nicht) diese Tänze im rituellen Kontext tanzen, rufen sie genau diese Lebenskraft an, alle Anwesenden und die ganze Gemeinschaft zu segnen. Durch das Tanzen mit bewusster Aufmerksamkeit haben wir Zugang zu genau diesen heilenden, transformatorischen und therapeutischen Qualitäten, wenn wir heute diese Tänze tanzen.

Die Methode, die ich in den letzten 25 Jahren der Arbeit mit diesen Tänzen entwickelt habe, ist es, Menschen – auch Männer, aber besonders Frauen – zu inspirieren, aufmerksam für die Gaben dieser Tänze zu sein und zu lernen, wie sie uns dabei helfen können, unsere eigene Lebensenergie und Kreativität anzuzapfen und sicher und fruchtbar in die Welt zu bringen. Ich nenne diese kreative Energie das “innere Feuer”, und in hunderten von Workshops in der ganzen Welt habe ich Frauen ermutigt, diese Tänze bewusst zu nutzen, um ihr inneres Feuer zu pflegen und zu lernen, es in ihrem Tanz und in ihrem Leben auszudrücken. Auf diese Weise zeigen die Tänze die Bedeutung und Wichtigkeit, die sie für jeden haben können, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit. Ich spreche diesen Prozess an in meinem Artikel  “Gypsy Dance & Women’s Empowerment” (1993):

“Im Tanzstil der Romafrauen geht es nicht um wildes Loslassen oder Aufgeben von Kontrolle. Das Gefühl von Kraft ist durch und durch bodenverbunden, und die leidenschaftliche Liebe zum Leben und zum Selbst wird im Körper und im Kreis gehalten, nicht weggeworfen oder anderen zur Nutzung angeboten. Besonders der Solotanz hilft uns, uns mit unserer eigenen Stärke und Anmut zu verbinden, aber erst, wenn wir als Gruppe zusammenkommen, wird im sicheren Gefäss des Kreises das Aufblühen unserer persönlichen Kraft gesehen, wahrgenommen und bestätigt. Dies sind entscheidene Lektionen für uns als Frauen, die jetzt Gemeinschaft zu schaffen suchen, die über nationale, religiöse, soziale und politische Grenzen hinausgeht und jede von uns in ihrem Starkwerden unterstützt. Romatänze scheinen besonders in der Lage zu sein, diese Kreativität für Frauen zu ermöglichen, individuell sowohl als kollektiv.”

Mein erstes intensives Trainingsjahr in traditionellen Frauentänzen der Roma, aus Armenien und vom Balkan, und meiner Methode der Arbeit mit ihnen als spirituelle Übung, fand im Jahr 2000 in Deutschland statt. Piry Krakow, Teilnehmerin der ersten Trainingsgruppe, liefert eine schöne Beschreibung der zurückhaltenden Qualität der Frauentänze der Roma: 

When we learn to reclaim this powerful, contained, sensual, creative life energy and allow it to fill our dancing bodies, it is as if the water of life is suddenly flowing freely again into a desert wasteland. For many women growing up under patriarchy, the female body has been made a place of exile or loss. The Roma dances, particularly, carry a resonance with historical themes of exile, persecution and dispossession, and so can help bring healing specifically to these kinds of feelings and experiences. With every step and movement they affirm joy. They celebrate the triumph of the life force, undimmed and undiminished by hardship or suffering. In this way, the creative power channeled by the dances leads us gently and lovingly back to the inner homeland of the dancing body, so that we can reclaim it as our birthright and our blessing, and bring our own treasures safely into the world.

Wenn wir lernen, diese kraftvolle, gehaltene, sensuelle, kreative Lebensenergie zurückzugewinnen und ihr erlauben, unsere tanzenden Körper zu erfüllen, ist es, als ob in einer Wüste das Wasser des Lebens plötzlich wieder frei fliesst. Für viele unter dem Patriarchat aufgewachsene Frauen ist der weibliche Körper zu einem Ort von Exil oder Verlust geworden. Besonders die Romatänze stehen in Resonanz zu den historischen Themen von Exil, Verfolgung und Enteignung, und können so besonders für diese Arten von Gefühlen und Erfahrungen Heilung bringen. Mit jedem Schritt, jeder Bewegung bestätigen sie die Freude. Sie feiern den Triumph der Lebenskraft, ungedämpft und unvermindert durch Entbehrung und Leid. Auf diese sanfte und liebevolle Weise führt uns die von den Tänzen vermittelte kreative Kraft zurück in die innere Heimat des tanzenden Körpers, so dass wir sie als unser Geburtsrecht und unsere Segnung wiedergewinnen können, und unsere eigenen Schätze sicher in die Welt bringen.

Laura Shannon © 2011


*Meine Theorie der Verbindung von Dreitakt-Tänzen zum Lebensbaum wird im Detail dargelegt in meinen Artikeln ‘Simple Dances: Where do they come from, where do they lead?’ von Laura Shannon in The Dancing Circle vol. 3. Hrsgb. Judy King (Sarsen Press, 2001) und ‘Dances of the Great Mother: Three-Measure Dances and the Tree of Life’, (1999), auf meiner Internetseite zu finden, und in meinem Kapitel  ‘Women’s Ritual Dances: An Ancient Source of Healing in Our Times’ in Dancing on the Earth: Women’s Stories of Healing Through Dance, Hrsgb. Johanna Leseho und Sandra McMaster (Findhorn Press, 2011)